Angeregt durch eine neue Mediendebatte und die vielen Anfrage an mich möchte ich umfassend hier meine Meinung zu diesem Thema äussern:
Gezuckerte Getränke machen dick, krank und übergewichtig. Im Tierversuch. Im Menschenversuch. In der Realität. Aus der langjährigen Erfahrung als Berater heraus. Die wissenschaftliche Datenlage ist so erdrückend, dass sogar die konservative Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Ihrer „Evidenzbasierten Leitlinie: „Kohlenhydrate“ schreibt: „Ein hoher Konsum zuckergesüßter Getränke erhöht bei Erwachsenen das Risiko für Adipositas mit wahrscheinlicher, bei Kindern mit möglicher Evidenz. Mit wahrscheinlicher Evidenz erhöht der Konsum zuckergesüßter Getränke auch das Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 und mit möglicher Evidenz das Risiko für das Metabolische Syndrom.“ Und das von einer Institution, die jahrzehntelang Fett als den einzigen Verursacher von Übergewicht und Kohlenhydrate als den Schutzfaktor vor zu viel Körperfett angepriesen hat!
Die einfache Erklärung: Der Mensch hat aus seiner Entwicklungsgeschichte heraus keinerlei Sensoren für flüssige Kalorien bzw. in Flüssigkeit gelöste Kohlenhydrate entwickelt. Wir nehmen also flüssige Kalorien als Zucker auf, aber dies löst keinerlei nennenswerte Sättigung aus. Soll heissen, es ist gleich ob wir 5 dl Wasser oder Saft/Cola/Limonade/Eistee/Light-Getränk trinken, die Sättigung dadurch ist nahezu immer die gleiche. Vernachlässigbar gering. Nur dass Säfte ca. 280 kcal pro halben Liter liefern, Colagetränke mit Zucker ca. 240 kcal (ja, korrekt, Cola hat weniger Kalorien als die ach so tollen Fruchtsäfte!), die in die Kalorienbilanz des Konsumenten eingehen ohne auch nur den geringsten Effekt hinsichtlich satt sein zu bewirken. Und es gibt genügend Menschen, die täglich ein Drittel ihres Energiebedarfs und mehr alleine aus flüssigen Kalorien aufnehmen. Und sich wundern, warum sie so wenig essen und immer weiter zunehmen…
Auf dieser Basis erscheinen regelmässig Berichte und Medienmeldungen, die behaupten, dass mit Süsstoffen gesüsste Getränke aber „noch schlimmer“ seien als Cola / Fanta / Sprite Classic. Und „so künstlich“… Moment mal – Cola classic mit Zucker ist „natürlich“ und Coke light / zero dann „künstlich“? Ich glaube, ein 100 % Kunstprodukt wie Cola mit Zucker kann ich auch mit Süsstoffen nicht noch schlimmer / künstlicher machen!
„Noch schlimmer“ könnte aber auch heissen, die künstlich gesüssten Getränke-Varianten machen noch schneller dick und krank als die gesüssten Varianten. Schauen wir das mal genauer an. Propagiert wird eine Freisetzung von Insulin alleine durch die Geschmackswahrnehmung „süss“. Funktioniert toll bei manchen Tierspezies, wurde aber definitiv noch nie beim Menschen nachgewiesen. Selbst wenn man unter exaktesten Bedingungen beim Menschen mit minütlichen Blutentnahmen testet, ob eine Aspartam-Lutschtablette und das daraus resultierende Süssempfinden irgendeinen Anstieg des Insulins bewirkt, und sei er auch noch so gering, so findet man – nichts dergleichen! (Abdallah L, Chabert M, Louis-Sylvestre J.: Cephalic phase responses to sweet taste. Am J Clin Nutr. 1997 Mar;65(3):737-43). Und jeder kann dies gerne im Selbstversuch überprüfen: Bitte früh morgens nüchtern ein Glas Light-Getränk der Wahl konsumieren und warten was passiert. Nach spätestens 30 Minuten sollten sich Schwitzen, Heisshunger auf alles, was nicht zurückbeisst, und Fingerzittern einstellen. Denn wenn es zu einem Insulinausstoss käme, aber gleichzeitig keinerlei Kohlenhydrate zugeführt werden, dann muss es logischerweise zu einer akuten Unterzuckerung kommen. Dies ergibt sich draus, dass das Insulin den im Nüchternzustand schon niedrigen Blutzucker dann noch weiter senkt und somit die beschriebenen Symptome als Unterzuckerungseffekte einsetzen müssten. Sie dürfen dies beruhigt ausprobieren, es wird nicht zu diesem Szenario kommen, weil es eben auch keinerlei Insulinfreisetzung durch das Light- oder Zero-Getränk geben wird.
„Aber Tiere essen mehr, wenn Sie Süsstoff unters Futter gemischt bekommen.“ Ja, weil das Futter besser schmeckt. Wir Menschen essen ja auch mehr an Lebensmitteln mit hohem Gehalt an Zucker und Fett, wenn man uns das unbegrenzt vorsetzt (Fast-Food-Ketten?), weil es einfach lecker ist. Und leider ist der Vergleich Tier und Mensch halt immer nur äusserst begrenzt aussagekräftig. Nicht umsonst sind 95 % aller Ergebnisse aus Medikamentenstudien an Tieren beim Menschen nicht reproduzierbar, und nur bei weniger als 1 % aller getesteten Substanzen kommt es zu dem gewünschten Effekt ohne akute schwerwiegende Nebenwirkungen. So viel zum Thema Übertragbarkeit der Daten von Tieren auf den Menschen.
Eine einzige Arbeit von Blundell und Hill im Lancet von 1986 konnte zeigen, dass nach Aspartamgenuss das subjektive Hungergefühl anstieg. Wäre toll gewesen zu testen, ob die Probanden dann auch mehr essen, wenn sie nun eine Mahlzeit vorgesetzt bekommen. Hat man aber nicht. Wäre toll gewesen, wenn man das dann auch noch mehrere Tage hintereinander gemacht und evaluiert hätte, ob die Probanden zunehmen. Hat man aber nicht. Was bleibt also als Aussagekraft für die Praxis des täglich Essenden und für Ernährungsberater? Ausser einem Indiz für einen möglichen Zusammenhang, den man weiter verfolgen sollte – nichts!
Und dieser Zusammenhang, ob Aspartam (der Süssstoff, der mit Abstand am häufigsten in Getränken verwendet wird) beim Menschen unter kontrollierten Bedingungen und über längere Zeit (also im praxisrelevanten Studiendesign!) eine Gewichtszunahme auslöst, wurde mehrfach in Studien untersucht. In einer Meta-Analyse (Bellisle F, Drewnowski A. Intense sweeteners, energy intake and the control of body weight. Eur J Clin Nutr. 2007 Jun;61(6):691-700), bei der alle bis dorthin durchgeführten Studien zum Thema, Hunger, Energieaufnahme und Gewichtsverlauf durch Süssstoff ausgewertet wurden ergab sich:
Aspartam zeigt in fast allen Studien gegenüber Wasser oder Zucker als Kontrolle keinerlei Veränderung im Appetitverhalten. Einige wenige Studien zeigen kurzfristig weniger Appetit durch Aspartam, ebenso wenige eine Zunahme. In länger angelegten Studien zeigte sich durch Aspartam im Vergleich zu Zucker oder Wasser oft ein günstigerer Gewichtsverlust durch Aspartam als bei Zucker – die Probanden nahmen ab, während sie bei Zuckerkonsum eher zunahmen. In keiner Arbeit kam es zu einer stärkeren Gewichtszunahme oder verringerten Gewichtsreduktion bei Aspartam gegenüber Zucker! Auch zwei neuere Arbeiten konnten zeigen, dass man mit Aspartam eine Gewichtsreduktion unterstützen kann:
Übergewichtige Probanden konnten in einem Gewichtsmanagementprogramm mit 7 dl Light-Getränken täglich über 12 Wochen sogar MEHR Gewicht reduzieren als die Kontrollgruppe, die nur Wasser trinken durfte (Peters, J., et al. The effects of water and non-nutritive sweetened beverages on weight loss during a 12-week weight loss treatment program. Obesity. 22:1415-1421, 2014). Die Forscher vermuten, dass die Lightgetränke den Probanden dabei halfen, dafür auf andere Süssigkeiten zu verzichten und damit besser ihre Gesamtenergiezufuhr zu kontrollieren. Ein Mechanismus, den ich aus der Beratungspraxis auch von vielen Klienten kenne.
In einer anderen Arbeit, die dieses Jahr publiziert wurde, mussten gesunde Übergewichtige über 10 Wochen eine definierte Menge an Zucker über Lebensmittel und zuckergesüsste Getränke zuführen. Die Vergleichsgruppe bekam lediglich Light-Getränke und die durch weniger Zucker „fehlenden“ Kalorien über andere Lebensmittel zum Verzehr ausgegeben um eine gleiche Gesamtenergiezufuhr der beiden Gruppen bei den verabreichten Testspeisen und –getränken zu erreichen. Neben diesem Package an Essen und Trinken von den Forschern konnten beide Gruppen den Rest des Tages nach eigenem Appetit essen und trinken. Beiden Probandengruppen wurde übrigens gesagt, sie hätten nur zuckerfreie Drinks und Lebensmittel bekommen, so dass keine Verzerrung durch die Erwartung der Probanden zu erwarten war. Was kam heraus? Natürlich, die Süsstoffgruppe nahm ab, hatte weniger Hunger im Tagesverlauf und hatte eine höhere Fettverbrennung über 24 Stunden. Die Zuckergruppe hatte mehr Appetit, nahm daher auch 22 % mehr Kalorien zu sich bei den Lebensmitteln, die täglich frei verzehrt werden durften und hatte eine eingeschränkte Fettverbrennung über 24 Stunden (Sørensen LB, Vasilaras TH, Astrup A, Raben A. Sucrose compared with artificial sweeteners: a clinical intervention study of effects on energy intake, appetite, and energy expenditure after 10 wk of supplementation in overweight subjects. Am J Clin Nutr. 2014 Apr 30;100(1):36-45). Genau das, was zu erwarten war, keinesfalls umgekehrt wie uns manche Pressemeldungen glauben machen wollen.
Die Studien mit „harten Endpunkten“ (Gewichtsverlust unter kontrollierten Bedingungen bei Menschen) zeigen also: Mit Süssstoffen (meist wurde Aspartam getestet) kann man besser abnehmen als mit Zucker als Süssungsmittel. Andere Humanstudien mit einem solchen Studienaufbau, die zeigen, dass man mit Süssstoffen noch fetter und kranker wird als mit Zucker? Fehlanzeige!
Und auch neuere Aspekte aus der Nature-Studie, die diese Woche publiziert wurde, tragen nicht zu einer Aufklärung bei. Als Wissenschaftler würde man zu den Ergebnissen sagen: Es wurden hier Surrogatparameter untersucht, die der weiteren Hypothesengenerierung hinsichtlich Süssstoffe und Übergewicht beim Menschen dienen. Diesbezügliche Humanstudien, die im Längsschnittdesign mit aussagekräftigen Probandenzahlen folgen müssen, werden diese Zusammenhänge evtl. weiter aufklären können. Soll heissen: Die Daten sagen eigentlich gar nichts für uns Menschen aus, liefern ein paar nette neue Ideen, was Süssstoffe vielleicht so im Körper machen könnten, ob das beim Menschen aber am Ende tatsächlich relevant ist, ist sehr unwahrscheinlich! Denn hier wurden in grossem, aussagekräftigen Rahmen nur Tiere getestet, am Menschen nur an sieben Probanden ein Pilotversuch gestartet. Hierbei zeigte sich lediglich eine Veränderung der Darmflora, die mit Glukoseintoleranz (eine Stoffwechsellage, die sich bei Entwicklung eines Diabetes als Vorstufe einstellt) in Verbindung gebracht wird. Keinesfalls eine wirkliche Gewichtszunahme, nur eine physiologische Veränderung, die langfristig dazu führen könnte (bei Mäusen!). Spannend ist auch, dass man nur den Originaldaten der Arbeit entnehmen kann(!), dass der beschriebene Effekt höchst individuell ausgeprägt bei den Tieren eintrat und auch nur signifikant bei der Gruppe war, die Sucralose und Saccharin als Süssstoff bekam. Die Gruppe von Mäusen, die Aspartam bekam (der seit Jahren am meisten verschriene „Bösewicht“ unter den Süssstoffen, der in allen Light- und Zero-Getränken zum Einsatz kommt), zeigte diese negativen Veränderungen nämlich nicht! DAS wird in den Pressemeldungen natürlich nicht erwähnt…
Die Datenlage ist also bis heute sehr klar und zeigt eindeutig, dass Süssstoffe beim Abnehmen unterstützend wirken können, keinesfalls hinderlich. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Dicke in Befragungen mehr Süssstoffkonsum angeben als Schlanke. Denn es handelt sich hier um keinerlei zwingende Kausalität. Denn wenn in Zürich letztes Jahr mehr Störche gesichtet worden wären und gleichzeitig auch die Anzahl der Geburten hochgegangen wäre, dann würde auch niemand die These aufstellen, der Storch bringe die Kinder. Und dann gibt es ja auch noch eine „reverse Kausalität“: Möglicherweise werden Menschen erst dick und fangen dann an mehr Süssstoff anstatt Zucker zu verwenden in der Hoffnung ihr Gewicht damit wieder zu senken. Somit bleibt der beobachtete Zusammenhang „Dicke nehmen mehr Süssstoff als Schlanke“ als solches korrekt, liefert aber keinerlei ursächliche Erklärung, über die Mechanismen des Zusammenhangs – wenn ein solcher überhaupt besteht (siehe Storch und Kinder).
Zusammengefasst: Wasser sollte die Basis der Flüssigkeitszufuhr sein. Gezuckerte Getränke haben in einer gesunderhaltenden Ernährung nichts zu suchen – niemals! Wer allerdings Gewicht reduzieren will und wem es hilft, mit dem gelegentlichen Konsum eines Light- oder Zero-Getränks auf andere (kalorienreiche) Süssigkeiten zu verzichten, der darf diese gerne verwenden. Eben nur ab und zu und wie ein Genussmittel. Dann ist auch das Thema Krebs durch Süssstoffe keines mehr, denn wie immer macht auch hier die Dosis das Gift.